Samstag, 29. Mai 2010

Sten Nadolny: Netzkarte

Die Netzkarte - ein Begriff, der einem schon völlig vergangen erscheint. Bundesbahn, Westdeutschland. Alles gestern. Das Buch bleibt aktuell, das "Netz" ist heute woanders, aber dennoch bleibt Ubiquität und Nicht-Ort prägendes Merkmal.

Ole Reuter ist eine wunderbare Figur, die natürlich sehr an Holden Caulfield erinnert. Das Buch hätte ein deutscher Catcher in the Rye werden können, ließe sich in einem Atemzug mit Die neuen Leiden des jungen W. nennen, ähnliche Adoleszenz-Befindlichkeit, aber auch ähnlich aufgeweckt, hypersensibel.

Ein schönes Buch über Deutschland und über Ole Reuter, der nicht erwachsen werden kann.

Fanny Frohmeyer: Geschichte in Augenblicken

Viele kleine Episoden, teilweise bekannt, teilweise unbekannt & hochinteressant, zeichnen pointilismusartig ein Bild von der Geschichte unserer Welt. Hinter der Autorin stecken verschiedene Redakteure, die zusammengewirkt haben, um dieses unterhaltsame kleine Büchlein zu erstellen.

Dienstag, 25. Mai 2010

Thomas Ramge: Die Flicks

Ramge portraitiert einen der (ex-) reichsten, (ex-) mächstigsten (ex-) deutschen Familienclans, die Flicks.

Bei Weitem am meisten Platz des Buches nimmt die Beschreibung des Wirkens von Patriarch Friedrich Flick ein. Hier widmet sich Ramge natürlich der Arisierung, der Zwangsarbeiter, würdigt aber auch das Schaffen Flicks und zeigt, wie sehr sein Aufstieg doch in eine ähnliche Krisenzeit fällt wie die heutige.

Der Famlienzwist mit dem Sohn wird umfangreich dargestellt, sowie natürlich die phänomenale zweite Karriere Flicks. Sohn Friedrich Karl kommt letztlich deutlich weniger gut weg.

Auch die Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick wird erwähnt und der Streit mit Zürich.

Was bleibt: ein gut und professionell geschriebenes Buch, das den routinierten Wirtschaftsjournalisten erkennen lässt. Das Buch kann andererseits keinesfalls mit wirklich guten wirtschaftsgeschichtlichen Werken mithalten, dafür bleibt es zu sehr an der Oberfläche. Der Leser meint auch eine gewisse eilige Recherche zu erkennen. Vielleicht gibt es über die Flicks (insbesondere die Jüngeren) nicht viel zu schreiben, der Autor hat sich so oder so jedoch stark auf die bekannten Topoi der Famliengeschichte gestürzt, ohne dem etwas Nennenswertes hinzuzufügen.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Jan Weiler: Maria, ihm schmeckt's nicht

Riesen-Hype, das Buch, verfilmt mit Ulmen und und und. Und dennoch: so richtig super fand ich es nicht. Das Buch lässt sich in 3 Teile teilen. Der erste Teil: Kennenlernen der Familie Marcipane und das Beschreiben ihrer seltsamen Gebräuche, Gefühl das Ausgesetzseins und der Fremdheit, insgesamt leider unlustig und nicht so gut gelungen.

Der zweite Teil hingegen ist die Erzählung Antonions, wie er nach Deutschland kam, als Gastarbeiter in den 60ern. Und hier wird der Roman plötzlich fast ernsthaft, bekommt eine sehr persönliche, liebevolle und relevante Seite, das hat mir sehr gut gefallen.

Dann noch der kurze Schluss, mit einem sehr nervigen Kapitel über das Schwimmen. Sind die letzten Sätze doch irgendwie schön und versöhnlich, so ist der Rest des Kapitels doch irgendwie etwas enttäuschend und verschenkter Platz.

Montag, 17. Mai 2010

Ariadne von Schirach: Tanz um die Lust

Dieses Buch hat mir wirklich Geduld abverlangt. Ich habe den Spiegel-Essay gelesen und der war sehr gut u. lesenswert. Das Buch fügt dem aber leider nicht viel mehr (lesenswertes) hinzu! Es wird nur länger und länger und sie wiederholt sich andauernd und es ist völlig unstrukturiert und furchtbar, nur von Zeit zu Zeit unterbrochen durch eine schlaue These, bei der man dann aufhorcht. So ist auch das Ende wieder ganz gut gelungen, was etwas versöhnt.

Insgesamt ein Buch, das einen durchaus nachdenken lässt. Es hätte aber völlig gereicht, die ganze Geschichte auf ca. 50 Seiten auszuformulieren. So lang wird wohl ungefähr auch die Magisterarbeit gewesen sein, auf der das Buch basiert.

Donnerstag, 13. Mai 2010

William Langwiesche: The Outlaw Sea

The Outlaw Sea ist, eher als ein Roman, eine Sammlung von Reportagen. Sehr guten Reportagen. Als Journalist ist Langwiesche ausgezeichnet, seine neutrale Art, seine gute Beobachtungsgabe, seine Klugheit und sein Stil ergeben schlicht einen ausgezeichneten Journalisten. Verschiedene Geschichten, wie etwa das Unglück der Estonia oder auch die Story über die Shipwreckers aus Indien sind tief recherchiert und sauber zusammengetragen. Das einzige, was dem Buch vielleicht etwas fehlt, ist, dass es eher eine Compilation von Reportagen ist. Lässt man sich darauf ein, ist das kein Problem. Die Kernthese des Buches, dass die See ein chaotischer Ort ist, findet zwar stets ihre Bestätigung, vermag es aber nicht, die einzelnen Geschichten wirklich zusammen zu halten.

Mittwoch, 5. Mai 2010

Neil Gaiman: Coraline

Die eigentliche Innovation des Buches ist wohl, dass Gaiman hier eine ganz klassische Film-Horror-Story schreibt - allerdings als Kinderbuch.

Das klappt recht gut. Die Geschichte ist tatsächlich unheimlich, behält aber einen wunderbar ironischen, britische Stil bei und kann mit einer Protagonistin punkten, die Gaiman sehr liebevoll als starkes Mädchen mit eigenem Kopf gezeichnet hat.

Dass der Plot vielleicht kleinere Schwächen hat, dürfte den meisten Lesern egal sein. Hingegen versteht es der Autor, eine zauberhafte Atmosphäre zu schaffen, die dem Wesen der Kindheit wahrscheinlich durchaus nah kommt.