Dienstag, 27. Juli 2010

Kai Ulrich Müller, Cornelius Hasselblatt: Estland

Hasselblatt und Müller haben vor einigen Jahren mit diesem Bild- und Textband ein gutes Werk getan: Estland musste den Westdeutschen erstmal vorgestellt werden. Dazu ist die Kombination von großformatigen Fotos und Texten ganz sinnvoll.

Allerdings gibt es auch Dinge zu bemängeln. Das Buch ist ein halber Bildband, doch die Fotos sind, ehrlich gesagt, nur von mittlerer Qualität, da hätte mehr erwartet werden dürfen. Zweitens ist das Buch doch sehr Guide-mäßig aufgemacht. Das ist aber nicht zweckmäßig. Kein Mensch fährt mit einem so großformatigen Buch auf Reisen. Als Schmöker- oder zumindest Vorbereitungsbuch für die Reise handeln die Texte die Orte Estlands dann aber wieder zu langweilig ab.

James Palmer: Bloody White Baron

Die Lebensgeschichte des Barons Ungern von Sternberg ist so unglaublich, dass sich ein Buch über ihn liest wie ein Fantasy-Epos. James Palmer schreibt dabei in einem etwas plauderigen Tonfall, lässt manche eigene Anekdote einfließen. Das ist gut und unterhaltsam. Manchmal geht diese angelsächsische Schreibart und auch die ebenso geprägte Sicht auf die Dinge aber auch etwas auf die Nerven. Dann erscheint einem diese lockere Art doch dissonant mit den Geschehnissen jener Tage, die sich für nonchalantes Storytelling doch manchmal eher wenig eignen. Dennoch insgesamt ein sehr lohnenswertes Buch, das die wesentlichen Fakten zusammenträgt, ohne den Makel der unangenehmen Propaganda des "Konkurrenzbuches" von Pozner.

Sonntag, 25. Juli 2010

Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen

Aus irgendeinem Grund sind die Schweizer Autoren einfach diejenigen mit der besten Sprachbeherrschung. Das gilt auch für dieses Buch. Warum es allerdings ein "Requiem" auf den Kriminalroman darstellen soll, hat sich für mich wohl nicht so ganz erschlossen. Das Buch über den störrischen Kommissar, der sein Versprechen festhält, ist eigentlich mE eher eine Kurzgeschichte, so monothematisch, so straight ist die Story erzählt. Dennoch oder gerade deshalb: große Literatur.

Montag, 19. Juli 2010

Leonore Gottschalk-Solger, Anke Gebert: Die Strafverteidigerin

Das ist kein Buch. Die Erinnerungen der GoSo wären für den privaten Rahmen, etwa als Beigeschenk für den 70. oder so geeignet gewesen. Als verkauftes Buch allerdings taugt es nicht. Das Lektorat ist katastrophal, die Autorin Gebert wiederholt sich wortwörtlich, abgedruckte Aussagen Bekannter der Anwältin werden ebenfalls gerne nochmal verwurstet. Das Buch lässt keinen einzigen kritischen Moment aufkommen, es handelt sich eindeutig um ein Gefälligkeitsbuch zugunsten von Gottschalk-Solger. Es sollen ja auch einfach ihre Erinnerungen sein - dann aber fragt sich natürlich, warum diese es nicht selbst geschrieben hat (wohl keine Zeit). Es bleibt ein seltsames Bild zurück einer erfolgreichen Rechtsanwältin, das unangenehm nach Werbung in eigener Sache riecht. Und das noch nicht einmal vollständig: So bleiben die Stills aus ihrer Zeit als ZDF-Verteidigerin im Buch etwa völlig unkommentiert. Insgesamt nicht empfehlenswert.

Samstag, 10. Juli 2010

Kurt Tucholsky: Das große Lesebuch

Leider ist "das große Lesebuch" kein besonders geglückter Name für ein Buch, für jedes Buch, insbesondere nicht für dieses. Der Inhalt des Buches straft den bescheuerten Titel schnell ab: Tucholsky tritt uns hier als politischer Essayist entgegen und was er uns zu sagen hat, das ist wirklich sehr spannend: Pazifismus, Moral, Alltagsbeobachtungen, so schlau, so modern, als wären sie gerade heute in der Zeitung erschienen. Ganz erstaunlich! Ist der Romancier Tucholsky vielleicht auch modern, aber doch eher "klassisch modern," so gilt das für den Essayisten nicht, die politischen Beobachtungen Tucholskys aus den 20er, 30er Jahren lassen uns die Fragen jener Zeit erschreckend aktuell erscheinen.

Freitag, 9. Juli 2010

Jürgen Roth; Rainer Nübel; Rainer Fromm: Anklage unerwünscht

Das Buch berichtet von "Korruption und Willkür in der deutschen Justiz." Das hier ist mein erster Kontakt mit dem bekannte Jürgen Roth, und ich muss bekennen, dass mein Eindruck zwiespältig ist. Teilweise werden in dem Buch Justizskandale besprochen, ja, wahrscheinlich auch aufgedeckt. Andererseits sind weitere Teile des Buches eher dubios. Insbesondere ist kritisch anzumerken, dass manchmal antizipiertes mangelndes Fachwissen des Lesers instrumentalisiert wird, um manche Argumentation schlüssiger klingen zu lassen, als sie ist. Zuletzt missfällt auch eine gewisse Wahllosigkeit der Kritik und auch der zitierten Quellen. Dennoch: Ein überfälliges Buch, das spannend zu lesen war. Und wenn auch nur ein viertel davon wahr ist, ist das schon zu viel.